Einführung in die italienisch-schwedische Gesangsmethode

Von Christian Halseband

"Die Gesangstechnik der italienisch-schwedische Gesangsmethode hat eine lange Tradition beginnend im 19. Jhd. mit Manuel Garcia d. J. über Gillis Brad (schwedischer Gesanglehrer, Sänger und Arzt), Kirsten Flagstad, Ingejart Isene, Joseph Hislop, Jussi Björling und Birgit Nilsson bis hin zu Alan Lindquest und seinen Schüler David L. Jones. Dabei handelt es sich nicht um eine “Schule” im klassischen Sinne, die jemand “erfunden” hat, sondern um eine Tradition.


Was sind die Prinzipien dieser Gesangsmethode? 


Das Ziel ist ein frei funktionierendes “Instrument” mit guter Resonanz und Tragfähigkeit, Flexibilität, großem Stimmumfang, individuellem schönem Klang mit ausgeglichenem Vibrato und guter Textverständlichkeit. 

Dadurch kann der Sänger frei mit dem Publikum durch die Musik kommunizieren. 

Die Gesangstechnik ist also nicht Selbstzweck – das vielbeschworene Virtuosentum ohne Inhalt, oder: höher, schneller, weiter – sondern nur ein Mittel, um dem Sänger den freien und kompletten Zugang zu seinem Instrument zu ermöglichen.

Ausgehend von der für das Singen (im übrigen auch für das ganze Leben) gesunden und richtigen Körperhaltung werden die Atemreflexe (wieder) geweckt, die den meisten von uns im alltäglichen Leben verlorengegangen sind. 

Das Falsett und die Bruststimme werden von oben nach unten gemischt. Der Übergang (Passaggio) oder Bruch wird durch Übungen ausgeglichen, die die NATÜRLICHE “Deckung” ermöglichen (“acoustical vowel alteration, NOT muscular”, David L. Jones, Übersetzung: “akustische Veränderung der Vokale, nicht muskuläre”).


Reflexe des Körpers werden in die richtige Koordination gebracht. Die für das Singen wichtigen Sinneswahrnehmungen werden geschult, um dem Sänger zu ermöglichen, nicht mehr nach dem Hören sondern nach dem Fühlen zu Singen, da ein Sänger sich selbst ganz anders hört als die Umwelt. 

Dadurch kann der Sänger in der Aufführung verschiedene Klangfarben und einen überzeugenden musikalischen Ausdruck erreichen, ohne über die Technik nachzudenken. Die vielen für gutes Singen wichtigen Gegensätze werden in Balance gebracht: hell – dunkel (in der ital. Schule heisst das “chiaroscuro”), Kehlöffnung – Fokus, tiefer Atem – hohe Töne etc.


Dem Schüler werden “einfache Regeln” (“a simple set of rules”, Alan Lindquest) an die Hand gegeben, mit denen er auch selbständig üben kann. Und genau da liegt meines Erachtens ein entscheidender Unterschied zu vielen anderen Methoden: Das WIE wird häufig nicht oder nicht ausreichend vermittelt. Es genügt nicht, dem Schüler zu sagen, was falsch ist und WAS er tun soll, er muss auch erklärt bekommen, wie man das erreichen kann. 

Ebenso wichtig ist es, den Schüler zu inspirieren, eine emotional angenehme Atmosphäre zu schaffen, nicht nur auf das Ziel des Unterrichts zu schauen, sondern den Prozess des Lernens zu begleiten (“I am interested in the process not the result!”, David L. Jones). 

Im 18. und 19. Jahrhundert lebten die Studenten häufig mit ihren Lehrern einige Zeit zusammen. So wurde der ganze Mensch zu einem Sänger ausgebildet und nicht nur isoliert die Stimme.


Ist diese Gesangstechnik nicht zu “klassisch” für andere Stilrichtungen wie z.B. Jazz? NEIN. Es ist für jeden (wirklich jeden, auch für die, die nicht singen sondern “nur” sprechen) sinnvoll, den gesunden Umgang mit der Stimme zu erlernen. 

Kann man mit seinem Instrument gut umgehen und weiß, wie es funktioniert, kann man problemlos verschiedene Stile überzeugend singen."


Ich möchte diese Einführung mit einem Zitat von Alan Lindquest beenden:


“Auf der Grundlage von innerer Ruhe, Stille, Geduld und Vertrauen, angetrieben durch das Verlangen zu Singen, ist die Ausbildung der Stimme die Entwicklung eines körperlichen Instrumentes, das zur richtigen Form und Funktion ausgebildet werden muss durch:


Übersetzt aus einem Artikel des Journals der National Association of Teachers of Singing, USA im Mai 1955.


© 2003 Christian Halseband